Umwanderung des Tauberbischofsheimer Mikrokosmoses - Eine launische Landschaftsbetrachtung


... bei Tauberbischofsheim, weitet sich das Tal. Die helle, in rasch vertrauter Gegenwärtigkeit atmende Landschaft zeigt weiche, gerundete Formen. Eine Teppichwelt, so hat Friedrich Alfred Schmid Noerr die im Wechsel der Kulturen farbig gescheckte Flur charakterisiert... (Carlheinz Gräter, TBB, Porträt einer fränkischen Stadt, o.J., 2.Aufl.)


...Wu jedes Plätzle lockd unn lachd in Frühjohrssunn
unn Frühjohrspracht ... (Josef Dürr, Naus's Fääld)

Am l. Mai, dem 35-Stunden-Wandertag der Arbeiterklasse, hielt es auch mich nicht mehr länger in den Fängen der kleinstädtischen Urbanität. Eine Umkreisung der Bischemer Großgemeinde nebst Eingemeindungen ist angesagt. Entlang Wald, Wiesen, Flur, Feldern, Tälern, Rainen, Anhöhen. Faszination von Natur, Topographie, Waldesrauschen, Vogelsang und Magie?

Gleich nach meinem Frühstart um 8.00 morgens sinniere ich über den neu-verunstalteten Groß-Gebäudekomplex einer Gaststätte. Fast das architektonische Pedant zum Denver-Carrington'schen Herrenhaus. Aber wo sind Fallon, Alexis, Jeff und die anderen Lieben?

An der Zufahrt zur B 27 hat das moderne Straßenrandmanagement des Straßenbauamtes bodennahe Basis-Arbeit geleistet. Über diese Tat-Sache wächst kein Gras mehr.

Unterhalb der Arbeitsplätze des Todes (oder Friedens, um der Ausgewogenheit willen) eine befremdlich wirkende Feldscheune. Dringend nötig wäre eine standortgerechte Übergangs- und Abschlußbepflanzung mit hochwüchsigen Baumarten.

Die aufgedrängte Beobachtung der profanen Behälter auf dem Neubaugebiet des Oberen Brenners, der „unvermeidlich"-entsetzlichen Kasernenerweiterung, den hohen Masten einer KV-Leitung verdränge ich. Nicht schon am Anfang die Illusion des Naturerlebnisses völlig verlieren!

Rechts der Edelberghohle, einem Nachtigallenrefugium, bewachsen mit Sträuchern, Gebüsch, kleineren Gehölzen, Robinien, Eichen, Koniferen, bepflastert mit Unrat aus Schutt, Rost und Kunststoff, komplementiert von einem Lagerplatz mit alten Holzbalken, eile ich entlang einer durch dichte Hecken reichlich gegliederten, anthropogenen Wiesenrainlandschaft zu den ersten Ausläufern des Moosigwaldes. Regengesäuerte entnadelte Kiefern knarren wie die Segelmasten eines Pesttotenschiffes, begleitet durch munteres Vogelzwitschern,

Schilder des Standortältesten belehren, daß auf mich bei Bedarf geschossen werden kann. Freie Schußbahn dazu schafft der frisch abgeholzte Wald.

Bei der städtischen Baumschule eine Begegnung mit einem Hasen, der kopfschüttelnd eine Neuanpflanzung unserer heutigen Forstwirtschaft mit den Kennzeichen Geradliniegkeit, regelmäßige Abstände, Rechtwinkligkeit verläßt. Vermutlich in
dieser Gleichförmigkeit der DIN-genormten Koniferenaufzucht die richtige Reihe nicht mehr gefunden oder ganz einfach Flucht vor der gebotenen einfarbigen Langeweilekultur.

Abwechslung in diese visuelle Mono-Sendung bringt ein urgeschichtliches Verweilen bei den Hügelgrabern aus der Bronzezeit. Wieder auf der offenen Flur eine erneute Begegnung mit Feldhasen, die in exakter para-militarischer Formation in Richtung Standortübungsplatz exerzieren.

Die typisch fränkische KV-Strom-Leitung durchschneidet wie gehabt die Heimatatmosphäre. Deshalb flugs hinab zu den Grünsfelder Tannen, die größtenteils aus stupidesten Fichtenstangen in Reih und Glied bestehen.

Der von Großrinderfeld kommende Rödleinsgraben hält meine heißgelaufenen Kritikeraugen auf. Angenehme Abkühlung durch einen selten gegönnten Anblick einer dominanten Eschengruppe, die das Rinnsal freundschaftlich beschützend begleitet. Na also!

Dermaßen beglückt verzeihe ich die kapriolenhafte Situation eines Jagdsitzes mit grüngestrichener Kunststoffdachabdeckung. Das beschäftigte Ameisentreiben in, auf und um einem Ameisenhaufen lenkt von der unpassenden Komposition Tal – Autobahnbrücke ab.
Neben einer Mulde im bewaldeten Lauswinkel, einer Augenweide mit hohen Buchen, Eichen und dem leichtfüßigen Auf und Ab des Gelandes, schreite ich auf eine glattrasierte, buntfreie und entreicherte Ackersteppe zu. Keine Horizonterweiterung durch Hecken aus Schlehen oder der Hagenbutte tragenden Heckenrose, keine Baumgruppen mit vorgelagerten Haselnußbüschen. Nur das aufgetürmte Muni-Depot der Bundeswehr, die obligatorische KV-Leitung und der immissionierte Larm der tief eingeschnittenen Autobahn setzen gern vermißbare Akzente

Die Böschungen der BAB sind mit landschaftsgärtnerischem Schnick-Schnack und Misch-Masch begrünt. Der einzige Heckenzug nach einer Brückenüberquerung in Richtung Distelhausen auf dem sonst kahlen Rotenberg beherbergt einen Hasen, der flüchtig seine winkligen Haken schlägt und im Gehölz verschwindet. Ein mit Birken strukturierter Bildstock mit Sitzbank, der einer Wohlfarthischen Ehe gewidmet ist, bildet den Bezugspunkt zu Halt und zu einem umschweifenden Blick über das Taubertal. Autobahn und Kraftfahrstraße kreuzigen hier das liebliche Madonnenländchen. Die Wohnstätten wuchern krebsartig über den Jahrhunderte lang zusammengehaltenen Siedlungsraum.

In Distelhausen leitet mich eine weiße Farbspur zu einem herzlichen Abschluß am Sportplatz: FUCK SVD. Am Tauberufer stehen skalpierte Weiden und degradierte Erlen. Besorgt von vielen Männern, mit zu vielen Motorsägereien, allesamt Angestellte der zuständigen Wasserwirtschaftsbehörde. Da eine Behörde nun mal existiert, muß sie sich selbst Arbeit besorgen, selbst wenn es nur darum geht, ihre Existenz zu rechtfertigen.

Ich ziehe meine Bahn unterhalb der Distelhauser Weinberge in Richtung Wetterkreuz. Eine Ouelle, erschlossen im typisierten Gewand einer Flurbereinigungsanlage bietet ein erquickendes Naß. Trotz gelegentlicher Fichtenanreihungen ein buntes Bild der Abwechslung: tiefe Graben, Haselnußsträucher, Trockenmauern, Hecken, Mischwald, Felder.

Als die naturdenkmalerische Kastanie des Wetterkreuzes im Visier auftaucht, herrscht wieder die Kahlheit, die die Flurbereinigung und ihre mechanische Beseitigung der früheren Kulturlandschaft mit ihrer ökologischen Ausgleichsfunktion kennzeichnet. Lärmend und mit großen Böschungsflächen macht sich die Autobahn bemerkbar. Die alte keltische Höhenstraße wird von emsigen Wanderern betreten.

An einer Bildstockgruppe, einem Aussiedlerhof vorbei, geht's hinab nach Dittwar, das mit seinen gestaltlosen Neubaugebieten, der großspurigen Umgehungsstraße und unsäglichen Ortsanbindung sowie der total verhunzten Bachbegradigung, den entmündigten Charakter der zwangsverstädterten Dörfer aufweist. Der Muckbach wirkt wie eine Kunsteisbobbahn: Geeicht zum profildynamischen Durchrauschen in Abflußrekordzeiten. Der anschließende baumbewachsene schlängelnde ursprüngliche Verlauf zeugt von selbstverständlicher Lebensqualität und eigener Selbstregulation des Gewässers.

Ein abgebranntes Haus plus totales Durcheinander in der Landschaft kündigt den Anstieg des Heidenkessels, Ort vergangener kultischer Handlung und magischer Bedeutung, an. Nach der kühlen, engen Schlucht komme ich angesichts der starken Steigung ins Schwitzen. In einem durchquerten Waldstückchen stehen Elsbeeren, deren Blätter mit Eichenblattern den Boden bemanteln, und biblisch modern geplagte Kiefern kurz vor der Niederlage.

Entlang der Gemarkungsgrenze zwischen Dittwar und TBB, markiert durch einen herrlich gestalteten Stein mit herausgearbeitetem Mainzer Rad, mitunter flankiert von eigenartig gewundenen Kiefern, erledige ich meine Gratwanderung in Richtung Königheim. Richtungsänderung bei dem großen Drei-Gemarkungsstein der Königheimer Höhe: Thitvar, Kanigheim, Bischofsheim um ca. 1840. 


Auf der Grenze hinunter zwischen Aufforstung mit Koniferenallerlei und kürzlich ausgelichtetem Buchenwald, zwischen Hussenbach und Wiesenbach zum entdeckungswerten, langgezogenen, versteckten Tel des Bischofsheimer Gründleins. Obstbaumwiesen umrahmt von mächtigen knorrigen Eichen und schlanken hohen Kiefern.

Ein Blick hinüber zu den ehemaligen Weinbergen an den Hängen des Stammberges, welche nun in Lichtungen mit Wacholder und Steinbruch aufgeteilt sind. Die Fabrikhallen des Industriegebietes Dittwarer Bahnhof ragen wie Riffs ungeschützt heraus.

Ich wechsle über die B 27 am Fuße des Stammberger Bannwaldes und Vogelschutzgebietes. Der Rinderbach fließt nicht inmitten des Tales an der tiefsten Stelle, sondern auf der Böschungsoberkante. Wer hat hier seine Hände im Spiel gehabt? Das Tal ist noch nicht ganz für die Radfahrtouristik erschlossen. Leider nur noch wenige Pyramidenpappeln und frisch geköpfte Bruchweiden zieren den Bachverlauf. Eine entsprechende Anpflanzung würde dem Tal noch mehr Raumstruktur und sicheres optisches Geleit geben. Den seitlichen Abschluß bilden links hochwüchsiger Mischwald und rechts das teilweise Sukzessionsgebiet der Hecken und Gehölze. Ein echtes Flora und Fauna Paradies ohne überflüssige Exotik. Anschmiegsame und abschließende Formen passender Natürlichkeit.

Jähes Erwachen in Dienstadt. Totale Vergewaltigung durch die Startbahn West inmitten des wundgeschlagenen Dorfes. Betonierte Klagemauern sind Denkmal von harten Planerphantasien. Das Neubaugebiet mit baulichen Krims-Krams und gärtnerischem Pi-Pa-Po ergänzt.

Die Koniferenplantagen des Tannenwaldes bekleckern die Fläche bis zum Hunzenberg hin. Eine Durststrecke. 99 blühende Lärchen retten mich. Eine lieblich angelegte Wegführung, topographischen Gegebenheiten folgend, führt mich hoch zum Hochhäuser Holzplatz. Der Abstieg erfolgt durch eine tiefeingegrabene Muschelkalkschlucht.

Aus der Ferne grüßt Impfingen mit kräftigen Schwarzpappeln in den Auen, dem herausragenden vollgepfropften Kirchtum und dem jederman zugänglich gewordenen Horrorvideo des überquollenem Neubaugebietes, das mit aufdringlichem Hauswandweiß und dunklen Dachdeckungen ohne schützenden Baumbesatz, planerische Unsensibilitat und technokratischen Planungsoptimismus auf Teufel-komm-raus, ohne landschaftsgestalterisches Gespür beweist.

Hochhausen wird schlagartig dorfsaniert. Auf dem Radfahrweg rasen Radler, auf der Tauber legen Ruderer sich kräftig ins Zeug. Ich laufe bequem über die gewölbte Brücke nach Werbach.

Die Mondkraterlandschaft des Kalkwerkes scheint von staubigen Brüdern frequentiert zu werden. Bäume und Hecken mit Grauüberzug. Auch der Wassergraben muß herhalten. Resultat ist eine brackige tote Brühe.

Ein der Eigenentwicklung überlassenes Naturschutzgebiet stimmt freundlich. Der Beilberggraben führt zu den Großrinderfelder Weinbergen. Tote Kiefern musizieren knarrzend. Das breite Tal der Ackerflachen eröffnet Sicht bis fast Großrinderfeld.
Das Teufelsloch verliert durch starke Abholzung an Charaktereigenschaft. Seine ihm eigene Belichtung schafft der Buchenwald im Großen Forst. Die Bäume des Hüttenschlags traf unverhofft der Kahlschlag.

Durch den schönen Forstgrund zum Sterbebett des Edelberges. Der Graben mit Unrat aufgefüllt. Den Horizont verbauen die Kisten auf dem Brenner. Der Laurentiusberg besetzt mit der Kaserne. Kein Verdrängen mehr möglich!

Nach fast 7 1/2 stündiger Wanderung wieder in den heimatlichen Gefilden. Matte Knie, lasche Oberschenkelmuskulatur und ein kräftiges Verlangen nach einem kühlen Glas Radler zusätzlich eingehandelt.

... Oh Taubertal! Im Dreck liegst du bald mitten drin
Mit deiner unberührten Schönheit ist es hin... (d.V.1978)

PS.
Wem meine Landschaftsbetrachtungen zu launisch sind, sollte mit einem Griff zu der alten W.H.Riehl'schen Wanderbeschreibung des Taubertals von 1865 sein Weltbild gleich welchem Coleurs über unser Bischeme zurechtrücken.
J.W. 10.5.1984